
Konsequenter Bestandserhalt
am Stuttgarter Marktplatz
Der Stuttgarter Marktplatz markiert einen zentralen Ort in der Stuttgarter Innenstadt. Wie kaum an einem anderen Ort, wird hier die Geschichte der Nachkriegsarchitektur und des Wiederaufbaus sichtbar. Gleichzeitig hat der Platz im Laufe der Jahre viele Veränderungen erfahren. Dies hat zu einem Verlust der Identität und Bedeutung des Platzes geführt. Mit der Transformation des Modehauses Breitling haben wir nun einen wichtigen Impuls zur Rückeroberung des Marktplatzes als Ort der Begegnung und des städtischen Lebens gesetzt.
Die Besonderheit unseres Entwurfs ergibt sich durch zwei Aspekte: Der Bestand aus den 50er-Jahren wurde konsequent erhalten und mit einer neuen Fassadengestaltung versehen. Durch eine klare Öffnung zum Marktplatz und ein neues Programm mit einer Kombination aus Gastronomie, Tourismusinformation und Arbeitswelten ist ein lebendiger Stadtbaustein entstanden, der dem Ort eine neue Identität und Bedeutung verleiht.


Konsequenter Bestandserhalt im Sinne des Zirkulären Bauens
Die wohl prägendste Entscheidung für den Entwurf war unser klares Bekenntnis zu einem konsequenten Bestandserhalt. Durch den Erhalt und die Ertüchtigung des konstruktiven Bestands konnten im Vergleich zu einem kompletten Neubau in konventioneller Bauweise circa 30% CO2-Emissionen eingespart werden.
Dem Prinzip des Zirkulären Bauens weiter folgend, wurden alle konstruktiven Erweiterungen in Holz errichtet, um im Gebäude biobasierte Materialien und Bauteile einzubringen und dauerhaft CO2 zu binden. Insgesamt wurden rund 500 Kubikmeter Holz verbaut, was einer Bindung von etwa 500 Tonnen CO2 entspricht. Konstruktive Eingriffe, die nicht aus Holz möglich waren, wurden nahezu komplett aus ressourcenschonendem Beton errichtet. Alle baulichen Eingriffe wurden so ausgeführt, dass sie später rückgebaut werden können.
Auf dem Dach sowie an Teilen der Fassade des Dachgeschosses wurden PV-Module installiert. Drei der Fassaden wurden außerdem begrünt. Die Dächer wiederum wurden mit Gründächern ausgestattet, wodurch ein Beitrag zur Regenwasserrückhaltung und Gebäudekühlung geleistet, die Biodiversität gefördert und das Mikroklima verbessert wird.

Komplexe Planungs- und Bauprozesse
Der gesamte Umbau stand unter der Frage, wie ein konstruktiver Umgang mit Grauer Energie in einem wirtschaftlich machbaren Rahmen funktionieren kann. Die große Herausforderung bestand darin, die komplexen, über die Jahre gewachsenen Strukturen des Altbaus mit heutigen Anforderungen in Einklang zu bringen. Allein das Ziel, die Graue Energie größtmöglich weiter zu nutzen, den Stahlbetonskelettbau zu erhalten und konstruktiv durch Holz zu erweitern, erforderte viele spezifische Eingriffe und Maßnahmen.
Diese Vielzahl an unterschiedlichen konstruktiven Situationen erforderte sowohl auf der Planungsseite als auch auf Ebene der ausführenden Firmen einen deutlich erhöhten Aufwand. Der Anspruch an die einzelnen Gewerke ist noch größer als bei herkömmlichen Bauaufgaben und erfordert eine intensive Kooperation. Diese Erfahrung zeigt, dass ein konsequenter Bestandserhalt kein Selbstläufer ist, sondern einer integralen Planung bedarf.

Städtebauliche Einbindung & Architektur
Das Rathaus erscheint am Marktplatz als dominanter Stadtbaustein, der an der Nordseite des Platzes von der kleinteiligen Struktur der Gebäude aus den 50er Jahren umgeben wird. Um die Bedeutung des Rathauses zu unterstreichen, wurde das Haus des Tourismus bewusst in diese Struktur eingebettet.
Die Fassade zum Marktplatz bildet dabei ein zentrales gestalterisches Element: Sie gliedert sich konstruktiv in vier Teile, die nach außen hin ablesbar sind. Das Erdgeschoss mit i-Punkt und Gastronomie ist mit einer großzügigen Verglasung versehen, die den Blick auf den Platz freigibt und eine einladende Wirkung erzielt. In den Obergeschossen kommen markante Rahmenkonstruktionen zum Einsatz, die der Fassade Struktur verleihen und sich an der Kleinteiligkeit der Gebäude aus den 50er Jahren orientieren. Auch das zurückgesetzte Dachgeschoss mit Rooftopbar referiert auf diese Zeit. Ein neuer, klar ersichtlicher Haupteingang sorgt dafür, dass sich das Gebäude in den urbanen Raum integriert und als offen wahrgenommen wird.

Multifunktionales Nutzungskonzept
Neben dem konsequenten Bestanderhalt bildet die Umnutzung des ehemaligen Kaufhauses in einen multifunktionalen Stadtbaustein einen wesentlichen Aspekt des Projekts. Mit Ausnahme der Gastronomie wurden die Innenräume von der Ippolito Fleitz Goup gestaltet. Das Erdgeschoss fungiert dabei als Herz des neuen Hauses. Hier befindet sich die Ausstellungsfläche mit i-Punkt und den Präsentationsflächen für die Landeshauptstadt Stuttgart, die Region Stuttgart und das Urlaubsland Baden-Württemberg sowie das Gastronomieangebot. Durch die großzügige Verglasung, die im Sommer in Teilen geöffnet werden kann, gehen Stadtraum und Innenraum ineinander über.
In den Obergeschossen finden sich die Büroflächen von Stuttgart-Marketing GmbH, Regio Stuttgart Marketing- und Tourismus GmbH sowie Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg. Im ersten Obergeschoss wurden zudem Konferenz- und Besprechungsräume untergebracht, die sowohl für die Mitarbeitenden als auch für externe Gäste genutzt werden. Die Räume wurden so gestaltet, dass sie eine Vielzahl von Nutzungsszenarien ermöglichen – vom Workshop bis zur klassischen Besprechung.
Die Büroflächen im zweiten und dritten Obergeschoss bieten Arbeitswelten, die sich an den modernen Anforderungen eines flexiblen, aktivitätsbasierten Arbeitens orientieren. Hier befinden sich rund 50 Arbeitsplätze. Die Raumaufteilung und -gestaltung ermöglicht eine flexible Nutzung, bei der Mitarbeitende je nach Bedarf zwischen offenen und geschlossenen Räumen wechseln können. Von der klassischen Workstation bis hin zur Fokuslounge bieten die verschiedenen Bereiche die passende Atmosphäre.




Das Dachgeschoss als fünfte Fassade
Sicherlich eines der Highlights des Projekts: die Dachterrasse. Neben einer Rooftopbar wartet hier auf die BesucherInnen in einer Höhe von etwa 16 Metern eine völlig neue Perspektive auf die Innenstadt. Der Dachbereich gliedert sich dabei in zwei Teile: Ein überdachter, wettergeschützter Bereich mit zwei geschlossenen Baukörpern aus Holz, der sich in Richtung des Marktplatzes in eine Dachfläche mit lichtdurchlässiger, aber schattenspendender Lamellenstruktur öffnet, die vollflächig mit Weinreben begrünt ist. Zum Marktplatz hin erstreckt sich schließlich ein offener Dachgarten, der von Koeber Landschaftsarchitektur entwickelt wurde und inmitten von Grün zum Sitzen einlädt.
Aufgrund seiner Beispielhaftigkeit wurde das Haus des Tourismus in das IBA’27-Netz aufgenommen, das ergänzend zu den IBA’27-Projekte zukunftsweisende Vorhaben aus der Stadtregion Stuttgart zusammenbringt. Voraussetzungen für die Aufnahme sind ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele und der Mut zum Experiment.

Projektinformation
Projektname: Umbau des Modehauses Breitling zum Haus des Tourismus
Ort: Stuttgart/DE
Projektart: Umbau / Modernisierung
Bauherr: Stuttgart Marketing GmbH/DE
Eröffnung: Oktober 2025
Kooperation: Turner & Townsend GmbH; Stuttgart / IGG Gölkl GmbH & Co. KG; Stuttgart / EGS-Plan GmbH; Stuttgart / IB Wörtz Part mbB, Pforzheim / Endreß Ingenieurgesellschaft mbH; Darmstadt, Stuttgart / Ippolito Fleitz Group GmbH; Stuttgart / Werkkollektiv Planungs GmbH; Stuttgart/ IGW – Ingenieurgruppe Walter + Partner GBR; Stuttgart / candela GmbH; Stuttgart/ IFP Weber GmbH & Co. KG; Argenbühl/DE + Ingenieurbüro Fassadentechnik – Dipl.-Ing. Rainer Neumann; Erdmannshausen / Koeber Landschaftsarchitektur GmbH / Studio Tillack Knöll GbR; Stuttgart
Projektteam: Marie-Eve Beyer, Dariia Cherkashyna, Raphael Dietz (Projektleitung), Bernhard Heinnickel, Ellen Henriques, Laura Palamattam, Hannah Kölbl, Sabine Kühn, Manuel Martinez, Marta Martinez, Tugce Sahin, Ralph Stäcker, Melek Türkmen, Matthias Wachter
Bilder: asp Architekten, Zooey Braun

