Rahmenplan

Stuttgart

Rosenstein

Historie und Ausgangssituation
Durch die Tieferlegung des Hauptbahnhofs entsteht in Stuttgart eine innerstädtische Entwicklungsfläche von 85 Hektar. Dort soll in den nächsten Jahren der Stadtteil Stuttgart Rosenstein entstehen. Das Gebiet nimmt derzeit bezüglich Lage und Größe eine Sonderstellung unter den Entwicklungspotentialen in deutschen Großstädten ein. Positiv gestaltet, wird dieses Auswirkungen auf die Gesamtstadt, die Region und darüber hinaus haben können – vergleichbar mit der Entwicklung der Hamburger HafenCity oder der zukünftigen Umnutzung des Flughafens Tegel in Berlin. Die Verfahren und Planungsprozesse können jedoch nicht losgelöst von der Planungshistorie um Stuttgart 21 betrachtet werden. Die besondere Herausforderung bei der Entwicklung des neuen Stadtteils Stuttgart Rosenstein besteht deshalb nicht nur darin, die Konflikte und Vorbehalte aus der Vergangenheit zu überwinden, sondern auch darin, den umfassenden Transformationsprozess zu bewerkstelligen, vor den uns sowohl der Klima- als auch der Strukturwandel stellen.

Der Wettbewerb
Nachdem 1994 und 2005 bereits städtebauliche Wettbewerbe für die Entwicklung des Stadtteils ausgelobt wurden, jedoch kein Weg gefunden werden konnte, die jeweiligen Ergebnisse weiterzuentwickeln, wurde 2016 ein neuer Versuch gestartet. In einer groß angelegten informellen Bürgerbeteiligung haben die BürgerInnen 2016 die Möglichkeit bekommen, ihre Wünsche für den neuen Stadtteil zu äußern. Daraus folgte das „Memorandum Rosenstein“, das erste Handlungsfelder definierte, die bei der Planung berücksichtigt werden sollten. Nach einer weiteren Bürgerbeteiligung im Jahr 2018, wurde auf Grundlage der Ideen und Anregungen der BürgerInnen ein Auslobungstext für den internationalen, offenen städtebaulichen Wettbewerb formuliert. Im Juli 2018 startete daraufhin das dreistufige Wettbewerbsverfahren, aus dem ein Jahr später der Entwurf von asp Architekten und Koeber Landschaftsarchitektur als Sieger hervorgegangen ist.

Ein Leitbild für Stuttgart Rosenstein
85 Hektar freiwerdende Fläche mitten in Stuttgart, die innerhalb der nächsten Jahrzehnte sukzessive entwickelt werden soll und ein Wettbewerbsergebnis, das ein klares Ergebnis dieser Entwicklung formuliert, waren die Ausgangslage, vor der sich die PlanerInnen nach dem Wettbewerb und der Beauftragung für die Entwicklung eines Rahmenplans gesehen haben. Die Schwierigkeit bestand nun also nicht nur in der Größe des Maßstabs, sondern vor allem darin, unter dem konkret formulierten Leitbild „urban. resilient. radikal grün.“ die Widersprüche einer dichten, aber klimaangepassten Stadt zu vereinen und mit dem Rahmenplan einen Wegweiser für eine Zukunft zu schaffen.

Dies führte zu der Idee, einen Rahmenplan zu entwickeln, der sich freimacht von herkömmlichen Herangehensweisen. Er unterscheidet sich insofern von einem klassischen Rahmenplan als er nicht nur die Entwicklung eines Stadtgebiets aufzeigt. Seine Aufgabe ist vor allem einen Wegweiser zu bilden für die Entwicklung eines komplett neuen Stücks Stadt. Das heißt: Er muss einerseits konkret eine Richtung vorgeben, indem er die städtebaulichen Qualitäten definiert. Andererseits muss er sich mit Zukunftsthemen auseinandersetzen, die in Teilen erst im Laufe des Prozesses beantwortet werden können, und deshalb die Möglichkeit offenhalten, neue Wege einzuschlagen. Der Rahmenplan muss also robust sein, gleichzeitig aber auch flexibel.

Der Aufbau des Rahmenplans
Diesen beiden Ansprüchen gerecht zu werden, führte zu der Idee, ein mehrteiliges Dokument zu verfassen. Dabei bildet der Rahmenplan einen robusten und resilienten Rahmen für die Bilder der Stadt der Zukunft, die im Laufe der Jahre ersetzt oder ergänzt werden können. Diese Bilder werden in den vier Vertiefungsdokumenten, sogenannte Steckbriefe, dargestellt und miteinander ausgehandelt. Die vier Dokumente bestehen zwar unabhängig voneinander, da sie sich mit den spezifischen Lösungen für die vier Teilbereiche – Rosensteinquartier, Europaquartier, Maker City und Gleisbogenpark – auseinandersetzen. Der Rahmenplan aber hält sie zusammen und ermöglicht ihnen Anpassbarkeit an sich verändernde Bedingungen ohne den Bezug zueinander zu verlieren.

Methodik und Anwendung
Weil die Anforderungen, die sich durch die Geschichte des Ortes sowie durch die Bedarfe des Klima- und Strukturwandels ergeben, so vielfältig sind und häufig widersprüchlich scheinen, zeigte sich, dass diese sich in den klassischen städtebaulichen Maßstäben eines Rahmenplans nicht lösen lassen. Die PlanerInnen arbeiteten maßstabsübergreifend, um Probleme im Detail zu verstehen und spezifische Lösungen abzuleiten. Diese werden jedoch nicht als endgültige planerische Lösungen verstanden, die so in einigen Jahren gebaut werden sollen. Sie sollen einen möglichen Ansatz darstellen, mit diesen Herausforderungen umzugehen.

Über diesen maßstabsübergreifenden Ansatz wurde die Aufgabe aus verschiedenen Disziplinen und Blickwinkeln betrachtet, vom Großen bis ins Kleine gedacht und zurück. Die Planungsebenen wurden dabei lokal, wie auch auf übergeordneter Ebene vernetzt. Das heißt: Probleme, die sich im Maßstab der Rahmen- beziehungsweise Schichtenpläne nicht haben lösen lassen, wurden in Vertiefungen dialogisch ausgehandelt und in sogenannten Steckbriefen geklärt. Die Inhalte der Steckbriefe bieten die Grundlage, diese im weiteren Prozess an die jeweils aktuellen Anforderungen anzupassen. Die Schichtenpläne als Teil des städtebaulichen Rahmenplans bilden eine Balance unterschiedlicher Anforderungen ab, beispielsweise Artenschutz und Kaltluftströme vs. Gebäudehöhen und städtebauliche Dichte.

Städtebauliches Konzept
Ein robustes Gerüst
Das Planungsgebiet Stuttgart Rosenstein haben die PlanerInnen in insgesamt vier Teilgebiete gegliedert: Während das Europaquartier und das Rosensteinquartier eher dem Wohnen und Arbeiten gewidmet sind, fungiert die sogenannte Maker City in Anlehnung an das Prinzip der Produktiven Stadt als eine Art urbanes Labor. Verbunden werden diese drei Teilgebiete durch den Gleisbogenpark, der einer grünen Achse gleicht. Der Entwurf schlägt vor, den „erweiterten“ Gleisbogen der Gäubahn von Bebauung freizuhalten und zum Rückgrat der neuen, erweiterten Innenstadt zu formen. Als städtisches Gelenk verbindet es die Stadtteile Nord und Ost und dient zugleich als gesamtstädtische Entwicklungsachse, an der entlang die Stadt schrittweise Richtung Neckar wachsen kann. Der neue „Parkbogen“ nimmt alle Funktionen einer modernen grünen Infrastruktur auf und verbindet, vom Bahnhof kommend, bestehende und neue Quartiere zu einem gemeinsamen Ganzen.

In seinem Charakter als dicht programmierter Freiraum nimmt er als urbane Ergänzung zum landschaftlich geprägten Erholungsraum des Rosensteinparks wichtige Freizeit-, Kultur-, Sport- und soziale Funktionen auf und führt das städtische Fuß- und Radwegenetz Richtung Neckar und dem Stadtteil Feuerbach weiter. Zudem beherbergt er Flächen für urbane Landwirtschaft. Neben seiner Bedeutung als „Sozialer Freiraum“ besitzt der Gleisbogenpark eine übergeordnete Bedeutung hinsichtlich des Artenschutzes, der Biotopvernetzung und der stadtklimatischen Bedingungen. Teile der bestehenden Topographie werden erhalten und in ein dichtes Netz von Grünräumen eingebunden. Dieses entwickelt sich beispielsweise entlang der Erschließungsstrukturen, in unversiegelten Platz- und Hofflächen usw. Maßnahmen zum Artenschutz (Animal-Aided Design) an Fassade und Dachflächen erweitern das Netz bis zur Gebäudeebene. Die Gesamtheit der Maßnahmen sichert den Fortbestand bestehender wie neuer Lebensräume und reduziert zugleich die Entwicklung von Hitzeinseln.

Integration in die umgebenden Strukturen
Die Vernetzung der neuen Stadtquartiere mit ihrer Umgebung steht im Vordergrund der Konzeption. Keine Insellagen, sondern vielfältige Nachbarschaften als gut integrierte Lebensräume dienen als Leitbild. Hierzu werden bestehende Anbindungen, Strukturen und Blickachsen der angrenzenden Stadt (Nordbahnhofsviertel und Stuttgarter Osten) aufgenommen und in den neuen Stadtteil geführt. Die bestehenden Blockstrukturen des denkmalgeschützten Eisenbahnerviertels werden als Ausgangspunkt für eine verbindende „Klammer“ des neuen Stadtteils weiterentwickelt. Die so entstehenden Felder eignen sich in Form und Größe zur Ausbildung überschaubarer Nachbarschaften mit eigenständigen Identitäten. Es werden Blickachsen zu den wichtigen „Stuttgarter Landmarken“ wie dem Rotenberg, dem Fernsehturm, dem Schloss Rosenstein und Ausblicke in den Landschaftsraum des Rosensteinparks geschaffen.

In der Randbebauung zum neuen Park werden der Bogen des ehemaligen Bahnkörpers als prägnante Form herausgearbeitet, Hochpunkte als städtebauliche Akzente gesetzt und klare Raumkanten ausgebildet. Im Zusammenwirken von Freiräumen, Wegeverbindungen und stadträumlichen Bezügen einerseits und sowie Lagequalitäten, Nutzungen und Typologien andererseits entsteht aus dem Nordbahnhofviertel und den neuen Quartieren ein zusammenhängender Stadtteil mit dem Gleisbogenpark als gemeinsamer Mitte und einer Abfolge vernetzter Freiräume auf Quartiersebene.

Nachbarschaften als Lebensmittelpunkte
Nahezu autofreie, dichte und zugleich durchgrünte Nachbarschaften werden als Leitidee der neuen Stadtquartiere herangezogen. Die einzelnen Nachbarschaften erhalten Quartiersplätze, welchen jeweils ein hybrider Quartiershub zugeordnet ist. In den Hubs werden Nahversorgung, soziale Infrastruktur, neue Mobilität, Energie und Stoffströme auf nachhaltige Weise gebündelt. Platz und Hub bilden das Herz jeder Nachbarschaft aus. Der Hub wird im Kern als Quartiersgarage ausgebildet, und kann bei Veränderungen im Mobilitätsverhalten den Bedarfen angepasst und umgenutzt werden. Je nach Lage werden die Gebäude hinsichtlich der Erdgeschoßnutzung und Grundrisstypologien differenziert. Zum Gleisbogenpark und an den Erschließungsstraßen werden im Erdgeschoss öffentlich wirksamere Nutzungen wie Läden, Cafés, Nahversorgung und Dienstleistungen angeordnet, zum Quartiersplatz hin orientieren sich vorwiegend soziale und gemeinschaftliche Einrichtungen wie Kita, Kleingewerbe, Coworking Spaces etc. Darüberliegend sind Geschoßwohnungen angeordnet. Die inneren Erschließungswege werden als durchgrünte Wohnwege ausgebildet, hier wird in gestapelten Townhouses bzw. Maisonette bereits im Erdgeschoss gewohnt.

Prozessorientierter Dialog

Eine neue Form der Kommunikation
Ein Projekt dieser Größe, mit einer solchen politischen wie gesellschaftlichen Bedeutung, bedarf einer anderen, neuen Form von Kommunikation – auf vielerlei Ebenen: zwischen den Planungsbeteiligten, gemeinsam mit den AkteurInnen und den Fachdisziplinen, aber auch zwischen den Planungsinhalten selbst, die miteinander gewissermaßen in den Dialog treten müssen. Neben den planerischen Voraussetzungen und der handwerklichen Tätigkeit des Planens und Bauens galt es also, die unterschiedlichen Phasen der Projektentwicklung mit einem integrierten Kommunikations- und Beteiligungskonzept so zu verschränken, dass Chancen und Potentiale erkannt und eine positive Auseinandersetzung der Stadtgesellschaft (BürgerInnen, Verbände, Verwaltung, Politik usw.) mit dem Vorhaben gefördert und ermöglicht wird.

Es galt, Stadtentwicklung nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch als einen diskursiven Prozess zu begreifen und leben, der Top-down und Bottom-up aktiv verbindet. Dadurch, das war an dieser Stelle bereits klar, würde man sich nun endlich von einem linearen Planungsprozess verabschieden müssen und die Planung in iterative Zyklen aufbrechen, die letztendlich Anpassungen ermöglichen würden, sodass der Prozess – gerade hinsichtlich seiner langen Perspektive – auch noch zu einem späteren Zeitpunkt an die sich verändernden Bedürfnisse und Anforderungen angepasst werden kann.

So entstand nicht nur das Format der Interdisziplinären Planungsgruppen (IPGs), bei dem zu verschiedenen Themenschwerpunkten neben den FachplanerInnen auch die zuständigen Ämter eingeladen wurden, um vermeintliche Widersprüche auf Planungsebene auszuhandeln. Sogenannte Werkstätten haben auch ein neutrales Setting geboten für Gespräche, die mit den PolitikerInnen geführt wurden. Mit dem „Akteursprozess Stuttgart Rosenstein C1“ wiederum wurde ein Beteiligungsformat geschaffen, das zwar zunächst exemplarisch für das Teilgebiet Maker City durchgeführt wurde, weil dieses als erstes realisiert werden soll, aber grundsätzlich als Vorbild zu betrachten ist für die Entwicklung der weiteren Teilgebiete. Nicht zuletzt haben die BürgerInnen während der Entwicklungsphase des Rahmenplans über mehrere Monate und verschiedene online- sowie offline-Formate die Möglichkeit erhalten, ihre Anregungen und Ideen zu verschiedenen Themenfeldern einzubringen, die in der finalen Version des Rahmenplans schließlich Berücksichtigung gefunden haben.

Der Rahmenplan Stuttgart Rosenstein wurde durch den Deutschen Städtebaupreis mit dem Sonderpreis 2023 in der Kategorie „Klimaanpassung gestalten“ ausgezeichnet.

Projektinformation

Name: Rahmenplan Stuttgart Rosenstein

Projektart: Entwicklung eines städtischen Rahmenplans

Ort: Stuttgart

Fertigstellung: 2023

Auftraggeber: Landeshauptstadt Stuttgart

Planungspartner: Koeber Landschaftsarchitektur GmbH, Köhler & Leutwein (Ingenieurbüro für Verkehrswesen), Claudia Georgius (Akteursprozess)

Projektteam: Alexa Appenzeller, Raphael Dietz, Nadine Funck, Ellen Henriques, Deborah Kunz (Projektleitung), Philipp Maué, Nicole Ottmann, Clara Scherer, Theresa Zorn

Fotos und Visualisierungen: asp Architekten

Auszeichnung: Deutscher Städtebaupreis 2023 Sonderkategorie „Klimaanpassung gestalten“