Soziale, grüne Mitte Grünkraut

Der Hintergrund
Unweit des Bodensees, nur wenige Kilometer von Ravensburg entfernt, befindet sich die Gemeinde Grünkraut, eingebettet in das Landschaftsbild des Westallgäuer Hügellands. Auf dem Höhenplateau reicht die Sicht an klaren Tagen bis zu den Alpen. Bis ins frühe 20. Jahrhundert bestand Grünkraut aus einer Anzahl an frei in der Landschaft liegenden Weilern. Der Zentralort, der einem Garten glich, wurde durch die Kirche markiert. Bis heute bildet sie gemeinsam mit dem Pfarrstadel den Ortskern.

Um den veränderten Bedarfen gerecht zu werden, hatte die Gemeinde geplant, im Ortskern ein Seniorenzentrum zu errichten. Da der erste Entwurf für das Vorhaben in einem Bürgerentscheid abgelehnt wurde, entstand die Idee eines kooperativen Workshop-Verfahrens, an dem eine Planungsgruppe aus verschiedenen Disziplinen in den Dialog mit der Verwaltung und Bürgerschaft treten. Initiiert, konzipiert und durchgeführt wurde das Verfahren mit Markus Müller, Geschäftsführer von MAP Architekten und Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg. Für die Planung wurde neben dem Vorarlberger Architekturbüro Studio Bär und Grüne Welle Landschaftsarchitektur auch asp Architekten ausgewählt.

Der Prozess
Die Idee des Verfahrens: Jedes Büro sollte zunächst aus seiner Perspektive die Qualitäten und Möglichkeiten des Ortes betrachten und darauf aufbauend gemeinsam mit den anderen Büros eine erste Idee für die Weiterentwicklung von Grünkraut erarbeiten. Der kritische Blick aller Beteiligten ermöglichte eine differenzierte Beurteilung der Ausgangssituation und bildete die Grundlage für einen maßstabsübergreifenden Entwurf. Das Verfahren war auf mehrere Monate ausgelegt und gliederte sich in verschiedene Phasen, in denen die beteiligten Büros für sich, aber auch gemeinsam vor Ort und in Workshops mit den BürgerInnen einen Rahmenplan entwickelten. Entstanden ist ein Rahmenplan, der aus der Landschaft und auch aus der Historie von Grünkraut herausentwickelt wurde. Das Ergebnis wurde von der Bürgerschaft sehr positiv aufgenommen.

Die Rahmenplanung
Die Aufgabe sah zunächst die Betrachtung einzelner Teilebereiche von Grünkraut vor. Um jedoch eine zukunftsfähige Strategie für die Gemeinde entwickeln zu können, entschieden sich die PlanerInnen dafür, einen Gesamtplan zu erstellen, in den schließlich die einzelnen Maßnahmen eingeflochten werden sollte. Über allem stand dabei die Frage, wie sich die BürgerInnen in Zukunft durch die Gemeinde bewegen werden und an welchen Stellen eine Verdichtung des öffentlichen Raums Sinn ergeben würde. Schließlich wurden für drei Orte architektonische Setzungen im dörflichen Maßstab entwickelt. Eine kleinteilige Baustruktur, die sich in die Körnung und an die repräsentativen Gebäude wie Rathaus und Schule anpasst:

Soziale Mitte:
Der Ortskern soll in ein grünes, soziales Zentrum weiterentwickelt werden, das auch tagsüber belebt ist. Neben SeniorInnenwohnen ist deshalb auch Mehrgenerationenwohnen vorgesehen. Um den Neubau für das SeniorInnenwohnen realisieren zu können, soll in einem ersten Schritt der Bauhof abgerissen werden. Das frühere Feuerwehrgebäude bleibt bestehen und erhält eine neue Nutzung. Aufgrund der absehbaren Lebensdauer des Kindergartens, der an das Pfarrstadel angebaut ist, sieht der Rahmenplan in einem späteren Entwicklungsschritt dessen Abriss vor. An dessen Stelle kann dann Raum für Mehrgenerationenwohnen geschaffen sowie der Freiraum um das Pfarrstadel als große Grünfläche gestärkt werden.

Kindercampus mit programmiertem Sportpark:
Da sich am Ortsrand bereits eine Grundschule und auch ein Kindergarten befinden, soll dieser Ort als autofreier Kindercampus weiterentwickelt werden, der sämtliche Betreuungsmöglichkeiten bündelt. Hier wird nicht nur der bereits bestehende Kindergarten erweitert, sondern auch Raum für Nachmittagsbetreuung geschaffen.

Quartier am Brühlacker:
Der Entwicklungsplan für Grünkraut sieht unter anderem 110 neue Wohnung vor. Um dieser Vorgabe gerecht zu werden, soll neben dem neuen Wohnraum durch Nachverdichtung der Ortsmitte ein weiteres Quartier geschaffen werden. Der Brühlacker am Ortsrand ist bislang geprägt durch Wiese, zukünftig soll hier auch gelebt und gewohnt werden. Die Idee der PlanerInnen: Wenn schon neue Fläche versiegelt werden soll, dann gemeinschaftlich. Um für das Quartier eine möglichst hohe Dichte zu erreichen und die Zersiedelung nicht weiter voranzutreiben, ist ein Anger im Freiraum geplant sowie eine Setzung aus Mehrfamilienhäusern, die z.B. über Baugemeinschaften entwickelt werden könnten. Das Quartier als Ganzes soll autofrei konzipiert werden.

Neben den architektonischen Setzungen sieht der Rahmenplan vor, den Naturraum an der Scherzach zu stärken. Hierfür sollen durch Abbruch des Getränkemarkts die bisherigen Naturräume verbunden werden. Zudem soll der Flusslauf punktuell aufgewertet und als Erholungsraum erlebbar gemacht werden. Auch der Straßenraum soll durch Konzentration der Öffentlichkeit aufgewertet werden. Vorgesehen ist eine behutsame Nachverdichtung; der Auftakt des neuen Wohnquartiers markiert gleichzeitig ein definiertes Ende der Bodnegger Straße. Die Erschließung der neuen, alten Räume wird unterstützt durch eine Qualifizierung der fußläufigen Wegeverbindungen. Für zusätzliche Belebung sollen unterschiedliche gastronomische Service zu verschiedenen Tageszeiten sorgen. Denkbar wäre beispielsweise ein Mittagstisch in der Nähe der Schule.

Mit dem Rahmenplan zeigen die PlanerInnen auf, wie durch eine behutsame, den Bestand respektierende Eingriffe die Ortsmitte verdichtet und gleichzeitig der Grünraum gestärkt werden kann. Durch wohlüberlegte Neuversiegelung und Abriss belasteter und anderweitig nicht weiternutzbarer Gebäude kann dem Bedarf an zusätzlichem Wohnraum und an Betreuungsmöglichkeiten sowohl für Kinder als auch SeniorInnen Rechnung getragen werden.

Projektinformation

Name: Rahmenplan Grünkraut

Art: Rahmenplanung

Ort: Grünkraut

Jahr: 2023

Kooperation: GrüneWelle Landschaftsarchitektur, studio bär, Markus Müller

Team: Jana Melber, Farzad Razavi